Für Erwachsene mit leichtem bis mittelschwerem Hörverlust ist eine Schallverstärkung durch Hörgeräte in der Regel ausreichend. Bei starker Schwerhörigkeit sind die Möglichkeiten eingeschränkter, da der Bereich zwischen noch hörbaren und bereits unangenehm lauten Geräuschen sehr klein ist. In diesem Fall muss die Behandlung über das Tragen gewöhnlicher Hörhilfen hinausgehen. Denn selbst erweiterte Funktionen in einigen Hörgeräten sind häufig nicht ausreichend.
In diesem Artikel geht es darum, was bei der Behandlung stark schwerhöriger Erwachsener zu beachten ist. Babys und Kinder werden hier nicht berücksichtigt. Es wird auch nicht auf die Ursachen für den Hörverlust eingegangen, die Hörspezialisten hinreichend bekannt sind. Vielmehr wird festgestellt, dass bei einem Ausfall des cochleären Verstärkers Hörgeräte in der Regel angemessen sind. Wenn andere Gehörstrukturen beschädigt sind, wie beispielsweise die inneren Haarzellen, reicht das jedoch nicht aus.

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Das Recruitment-Phänomen
Wenn der cochleäre Verstärker im Innenohr ausfällt, führt das zu einem schnelleren Lautheitsanstieg, dem sogenannten Recruitment. Wird mit Hörgeräten gegengesteuert, ist es nötig, das Sprachspektrum von etwa 30 Dezibel im Restdynamikbereich angemessen zu verstärken bzw. zu komprimieren. Dadurch ist Sprachverstehen möglich, ohne die Unbehaglichkeitsschwelle zu überschreiten. Bei Menschen mit besonders schwerem Hörverlust kann dieser Bereich auch kleiner sein, z. B. zwischen 20 und 30 Dezibel.
Ist der Hörnerv geschädigt oder fehlen die inneren Haarzellen, können die Schallwellen nicht mehr ins Gehirn weitergeleitet werden. In diesem Fall hilft eine Verstärkung der Geräusche in der Regel wenig bis gar nicht. Hörgeräte sind für das Sprachverstehen dann eher ungeeignet.
Menschen mit schwerem bis hochgradigem Hörverlust können außerdem die zeitliche Feinstruktur schlechter verarbeiten. Eine Ursache dafür ist eine verringerte Frequenzselektivität, was zu Verzerrungen führt und die Interpretation des Gehörten beeinträchtigt. Das verhindert das Sprachverstehen bei Hintergrundgeräuschen. Hörgeräte sind bei Problemen der Verarbeitung akustischer Signale nicht geeignet, Abhilfe zu schaffen.
Der Sprachverständlichkeitsindex
Bei der Anpassung von Hörgeräten kann der Sprachverständlichkeitsindex (Speech Intelligibility Index, SII) für die Abschätzung der zu erwartenden Sprachverständlichkeit verwendet werden. Einer Studie zufolge waren die Vorhersagen bei Teilnehmenden mit einer leichten bis mittelschweren Hörbeeinträchtigung häufig zutreffend, bei Menschen mit schwerem bis hochgradigem Hörverlust allerdings nicht. Die Forscher passten daraufhin die Berechnung des SII für diese Gruppe an. In anderen Studien wurde ein Sprach-Desensibilisierungsfaktor einbezogen, der die Abhängigkeit des Hörverlustes von der Frequenz beschreibt. So konnten Abweichungen zwischen der Spracherkennung und der Sprachverständlichkeit erklärt werden.
Kompression
Menschen mit schwerem bis hochgradigem Hörverlust und einem verringerten Dynamikbereich benötigen ein Hörsystem mit Kompressionsfunktion, das leise Töne in höherem Maße verstärkt als laute. Eine zu starke Komprimierung verringert jedoch die Fähigkeit, Sprachsignale zu erkennen. Den Betroffenen fällt es dann beispielsweise schwer, zwischen verschiedenen Vokalen zu unterscheiden. Das ist eine Folge der Kompression und nicht der Hörbarkeit. Stark schwerhörige Personen benötigen im Vergleich zu Menschen mit leichtem bis mittlerem Hörverlust ein breiteres Spektrum an Sprachsignalen.
Die Auswahl eines Hörgerätes für Erwachsene mit schwerem bis hochgradigem Hörverlust
Laut einer Veröffentlichung der WHO im März 2021 hatten rund 10 Millionen Menschen zu dem Zeitpunkt in Deutschland mit einer Hörbeeinträchtigung zu leben, davon waren fast 6 Millionen signifikant beeinträchtigt. Wer mit schwerem oder hochgradigem Hörverlust diagnostiziert wurde, sollte schnellstmöglich ein Hörgerät bekommen. Denn das ist in der Regel die primäre Behandlungsmethode bei Hörproblemen. Wenn Schwerhörige lange keine Hörhilfe tragen, erschwert das später die Anpassung eines Gerätes mit ausreichender Verstärkungsmöglichkeit.
Vor der Auswahl eines Gerätes muss auf anatomische Einschränkungen geachtet werden, wie beispielsweise das Fehlen der Ohrmuscheln. Hinweise für die Anpassung der Hörhilfe liefert das Audiogramm. Wenn Sie als Hörspezialist an einer Partnerschaft interessiert sind, können Sie diesen Online-Hörtest für Ihre Kunden nutzen: phonak.com/de-de/online-hoertest. Denn häufig sinkt die Hemmschwelle bei Betroffenen, wenn sie sich zu Hause testen können. Ist das Ergebnis schlecht, machen sie einen Termin bei einem Hörspezialisten aus.
Das Hinter-dem-Ohr-Hörgerät ist die am häufigsten gewählte Hörhilfe. Sie sollte mit anderen Hilfsmitteln verbunden werden können, beispielsweise durch eine eingebaute Telefonspule. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die Betroffenen Sprache und andere Klänge hören können. Auch die Hörpräferenzen der schwerhörigen Personen müssen berücksichtigt werden.
Forscher empfehlen die Nutzung präskriptiver Formeln für eine erste Berechnung der benötigten Verstärkung. Die Präskriptionen DSL v5.0 und NAL-NL2 werden kontinuierlich weiterentwickelt und optimiert. Beide Verfahren sind erwiesenermaßen geeignet für eine Anpassung, die Menschen mit schwerem bis hochgradigem Hörverlust gerecht wird. Ebenfalls empfohlen wird die Messung des Lautheitsempfindens mit den Pegeln „leise“, „mittel“ und „laut“ als Grundlage für die Entscheidung über Kompression und Verstärkung.
Hörspezialisten müssen einerseits für Sprachverständlichkeit sorgen, andererseits sicherstellen, dass die Unbehaglichkeitsschwelle nicht überschritten wird. Dazu sollten die Hörsysteme in einer Messbox oder im Gehörgang getestet werden. Es ist wichtig, das Hörgerät sorgfältig anzupassen, um unnötige Folgetermine zu vermeiden.
Auch für Menschen mit schwerem bis hochgradigem Hörverlust gibt es Lösungen, wenn Best Practices befolgt werden.